Für Paulita Pappel stand lange fest: Pornografie fördert die Unterdrückung der Frau. Heute ist sie selbst im Pornogeschäft. Sie hat »Lustery« gegründet, eine Online-Plattform für junge Amateurpornografie. Paare reichen eine Bewerbung ein, filmen sich selbst beim Sex, Schnitt und Vertrieb übernimmt ihr Team.
Doch Pappel erzählt auch, dass ihr Unternehmen in der freien Wirtschaft anders behandelt würde als andere: Instagram habe mehrmals ihren Account gelöscht. So hat sie ihre Social-Media-Follower verloren, die sie sich über Jahre aufgebaut hatte. Auch Twitter verstecke ihre Tweets. Und PayPal stelle seine Dienste gar nicht erst zur Verfügung.
Laura Méritt kennt dieses Problem noch aus der analogen Welt. Seit den Achtzigerjahren betreibt sie in Berlin einen Sexshop in ihrer eigenen Wohnung. Wenn Frauen – damals, als es noch kein Internet gab – einen Porno aus ihrem Sortiment kaufen wollten und nicht vorbeikommen konnten, schickte sie jemanden los, um den Film persönlich zur Kundin zu bringen, aus Angst vor einer Anzeige. Der Versandhandel mit Pornografie ist aus Jugendschutzgründen rechtlich streng reglementiert. Dabei hat feministische Pornografie für Méritt auch einen Bildungsauftrag. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Aktivistin gilt als eine Wegbereiterin des »sexpositiven Feminismus« in Deutschland:
Méritt spielt auf die Feministinnen an, die noch heute Pornografie grundsätzlich ablehnen, weil sie die Frau zum Sexobjekt degradiere. Auf der anderen Seite des Grabens hat sich ein sexpositiver Flügel der Frauenbewegung etabliert.
Méritt versucht mit ihrer Arbeit innerhalb des Feminismus Brücken zu schlagen: Auch sie sieht in einseitigen Pornodarstellungen ein Problem. Die Antwort darauf ist für Méritt jedoch kein Verbot. Sondern Alternativen zu schaffen und zu debattieren. Was genau einen Porno nun feministisch macht?
Méritt definiert drei Kriterien:
1. Alle Beteiligten sollen gleichwertig in ihrer Lust zu sehen sein. Es wird eine Vielfalt von Körpern, Altersgruppen, Geschlechteridentitäten sowie Kameraeinstellungen gezeigt.
2. Konsens is king: Performerinnen und Performer klären vor dem Dreh, wo ihre Grenzen liegen.
3. Die Arbeitsbedingungen vor und hinter der Kamera müssen fair sein, sowohl was Konsens als auch was zum Beispiel die Bezahlung betrifft.
Oft wird feministische Pornografie deshalb auch als Ethical- oder Fair-trade-Porn bezeichnet. Eine Art Bio-Siegel für Pornos, sagen manche. Nur ganz so einfach ist es nicht.
Pornos sind Männersache – so lautet ein altes Klischee, das die FemPorn-Szene schon beinahe verdrängt hat. Doch an seine Stelle rückt bereits ein neues: Feministische Pornografie – das ist doch Porno von Frauen für Frauen?
Für die Pornoproduzentinnen Shine Louise Houston und Jiz Lee aus San Francisco ist es mehr als das. Als Teil der queeren Szene wollen sie die beiden Geschlechterschubladen »Mann« und »Frau« überwinden oder erst gar nicht in diesen Kategorien denken.
Spricht Shine über Jiz in der dritten Person, entscheidet sie nicht zwischen »he« oder »she«, sondern wählt das neutrale »they«, also »sie« im Plural.
»Pornografie ist ein weites Feld. Sie kann jemanden abbilden, der Luftballons kaputt macht oder tatsächlichen Sex hat. Sie spiegelt die Vielfalt von Sexualität wider.«
Shine Louise Houston
»Man kann sexuelle Vorlieben nicht als natürlich oder unnatürlich festschreiben. Außerdem können Personen mehrere Geschlechteridentitäten ausleben. Feste Labels können Menschen niemals gerecht werden.«
Jiz Lee
»Viele behaupten, Pornografie reproduziere Gewalt. Analsex zum Beispiel empfinden einige als per se gewaltvoll. Dabei kann Analsex etwas Genussvolles sein. Gleiches gilt für erniedrigende Sprache. All das ist legitim, sofern es miteinander ausgehandelt wurde.«
Jiz Lee
»Ich mag es, dominierende Diskurse zu brechen und Narrative umzudrehen. Wer darf den Helden spielen? Wer bekommt die Hauptrolle? Dann gibt es zum Beispiel nur eine weiße Person, und alle anderen sind schwarz.«
Shine Louise Houston
»Queer ist ein Regenschirm-Begriff, der viele Geschlechteridentitäten umfasst. Er schließt niemanden aus, sondern im Gegenteil jene mit ein, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen.«
Jiz Lee
»In der BDSM-Szene (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) gehört es dazu, mit Macht zu spielen. Von Gewalt zu sprechen, negiert die Freiwilligkeit der Beteiligten. Dabei wissen diese Menschen, was sie tun. Sie kennen ihre Grenzen und genießen es, diese auszureizen.«
Jiz Lee
Was als Pornografie definiert wird und was sie leisten muss oder kann, beschäftigt auch Theo Meow und Candy Flip aus Berlin. Gemeinsam produzieren sie unter dem Label »Meow Meow Kollektiv« Filme, stehen sowohl hinter der Kamera als auch davor. Ihre Filme sind unkonventionell bis experimentell.
Davon leben können sie nicht. Theo verdient sein Geld mit einem »kreuzseriösen Bürojob«, Candy arbeitet als Escort. Deshalb müssen sie viel improvisieren. Oft drehen sie im Freien oder der eigenen WG, um die Set-Miete zu sparen. Requisiten oder Szenenbild basteln sie selbst. Nur ein »unbekannter Gönner« überweise ihnen manchmal etwas auf ihr Spendenkonto. Was wollen sie mit ihren Filmen erreichen?
Weil die Ressourcen oft knapp sind, helfe man sich gegenseitig, sagen Theo und Candy. So auch bei einem Dreh ihrer Kollegin Jo Pollux. Ihr Film erzählt von einer Herrin, die mit ihrer Katze in einem Verlies lebt. An einem Sonntagnachmittag im Hochsommer drehen Jo und ihr kleines Team im Keller eines Berliner Wohnhauses – neun Stunden für ein 20 Minuten langes Resultat. Der Hausmeister des Wohnhauses weiß »von einem Filmprojekt«, Genaueres erzählen sie ihm lieber nicht. Ein Ortstermin am Set in 360 Grad:
Noch immer ist Pornografie in der Gesellschaft tabuisiert – doch inzwischen hat sich ihr ein Wissenschaftszweig angenommen. In den USA unter dem Namen Porn Studies schon verbreiteter, friste das Fach in Deutschland ein Nischendasein, sagt Madita Oeming. Sie versucht das zu ändern. Als Amerikanistin hat sie 2018 an der Universität Paderborn erstmalig ein Seminar zum Thema angeboten. Ausgerechnet Paderborn:
Zur sexuellen Befreiung gehört für Oeming auch die Frage, welche Bilder Menschen in der Pornografie sehen wollen. Ein prominentes und umstrittenes Beispiel: wenn Frauen Vergewaltigungsfantasien haben und entsprechend in Pornos suchen. Wie ist damit aus feministischer Perspektive umzugehen? Braucht es ein Verbot? Oder mehr Diskurs? Für Oeming steht fest: Sexuelle Fantasien sind nicht politisch korrekt, gerade das Tabu macht den Reiz aus. Sie sagt: »Am Ende hat Sexualität mehr mit Körper als mit Kopf zu tun, auch wenn beides zusammenspielt. Das heißt, ich kann etwas sexuell erregend finden, was ich rational für absolut falsch halte.«
Auch über die FemPorn-Szene selbst wird viel diskutiert. Denn Anspruch und Realität driften manchmal auseinander: Gerade die alternativen Produktionen können oft keine faire Gage zahlen, sagt Theo Meow. Auch ihre Selbstdarstellung und die harte Abgrenzung zum Mainstream sehen Theo und Candy selbstkritisch:
Einmal im Jahr beim Berliner Pornfilmfestival kommen sie alle zusammen: Porno-Interessierte mischen sich unter Performer und Regisseurinnen – ein Branchentreff, könnte man sagen. Die Atmosphäre gleicht eher einem großen Familientreffen.
In dieser Woche findet die 14. Ausgabe des Festivals in Berlin statt. Madita Oeming schaut sich die neuesten Filme für ihre Forschung an und moderiert gemeinsam mit Jiz Lee aus San Francisco ein Panel zu Pornografie in der Wissenschaft. Shine Louise gibt einen Kamera-Workshop. Theo und Candy feiern mit dem Abschlussfilm die Premiere ihres ersten Langfilms. Und Paulita Pappel begrüßt als Festival-Kuratorin das Publikum. Jedes Jahr stiegen die Besucherzahlen, sagt Pappel, die Neugierde wächst.
Aber: Der Gegenwind nimmt zu. Eine Gruppe von Aktivistinnen will gegen das Festival protestieren. These: Feminismus und Pornografie schließen einander aus. Ein alter Streit. Eine neue Generation.
Autorin, Kamera, Schnitt Nora Belghaus
Programmierung Lorenz Kiefer, Chris Kurt
Dokumentation Axel Rentsch
Schlussredaktion Katrin Zabel
Redaktion Marco Kasang, Jens Radü
Zusätzliches Material: Meow Meow Kollektiv
Fotos: CARLA SCHLEIFFER, KATY BIT, PINK AND WHITE PRODUCTIONS, BARBARA ALPER / GETTY IMAGES (2), BETTMANN / GETTY IMAGES (2), C. WILBRET / THOMAS & THOMAS, ULRICH PERREY / DPA, LAIBLE / ULLSTEIN BILD, PENNY SLINGER